Die Königsdisziplin der Falkenjagd hatte ihren Höhepunkt im ausgehenden 18. Jahrhundert. Niemand geringeres als der bayerische Wittelsbacher, Kurfürst Clemens August entwickelte diese Form der höfischen Jagd nochmals zur vollen Pracht. Seine Schlösser in den Rhein-Wiesen bei Köln wie z. B. Schloss Falkenlust zeugen von dem immensen Aufwand, der damals mit großem Gefolge betrieben wurde. Die Reiherkolonien in den Rheinauen, wo die schweren Vögel mit den langen Hälsen in den Bäumen ihre Brutpflege trieben, waren für den Standort des höfischen Spektakels Ausschlag gebend.

Den Wanderfalken auf der Faust ritten die Falkner auf ihren schnellen Pferden diesen durchaus wendigen und mit ihren spitzen dolchähnlichen Schnäbeln für den Falken gefährlichen Vögeln nach; spiralförmig schwang sich der Falke in die Höhe, um mit sausender Fahrt wie ein Stein vom Himmel sich auf den Reiher zu stürzen und zu Boden zu schlagen. Schnell waren die Jäger zur Stelle, um die wertvolle Beute mit den Initialen des Jagdherrn zu beringen und vor den Attacken des Falkens zu bewahren. Einzig die langen Kopffedern waren die Trophäe, die von diesem herrlichen Schaubild zeugten.  

 

 



  Landgräfin Philippine auf der Reiherbeize

  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Motiv der höfischen Jagdgesellschaft mit Jagdschloss Wabern im Mittelgrund entlehnte Tischbein d. Ä. seinem Zyklus »Die Reiherbeize«, einer Folge von sechs Wandgemälden, die er 1763/64 im Auftrag von Landgraf Friedrich II. für Schloss Wabern ausgeführt hat (Eichenzell, Hessische Hausstiftung, Museum Schloss Fasanerie, Inv. Nr. FAS B 387, 389, 391-394). Die Jagd war im 18. Jahrhundert ein Akt festlicher Repräsentation und Teil des Hofzeremoniells, die Reiherbeize galt als die vornehmste Art zu jagen. Wie in der großformatigen Bilderfolge (Inv. Nr. FAS B 387) sind auch hier in einer Hügellandschaft – etwa in der Bildmitte – Landgraf Friedrich II., in roter Jagduniform auf einem Schimmel, und sein Gast Carl August Friedrich Fürst von Waldeck und Pyrmont, in grünem Rock auf einem Rappen, dargestellt. Die beiden Fürsten hatten sich im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) bekämpft. Die Gemäldefolge, die Tischbein im Jahr des Friedensschlusses begonnen hat, sollte das Ende der Auseinandersetzungen, auch zwischen Hessen-Kassel und Waldeck-Pyrmont, belegen. Einzelne Personen sind hier wie in Tischbeins großformatiger »Reiherbeize« dargestellt: der Landgraf und sein fürstlicher Gast, der mit der rechten Hand in die Luft zeigt, der Hoffalkoniermeister Heinrich Verhuven in rotem Rock mit dem verkappten, mit Haube und Trosch geschmückten Falken in der Linken sowie der Oberkammerherr und Oberstallmeister Jürgen von Wittorf und der Waldecksche Oberjägermeister Friedrich Ulrich von Leliva, die etwas versetzt hinter Friedrich II. erscheinen.

Landgräfin Philippine ist wohl später von einem anderen, unbekannten Maler eingefügt worden. In einem langen roten Mantel sitzt sie auf einem Schecken und reitet, von den übrigen isoliert, an der Spitze der Gruppe. Im Vergleich zu den anderen Pferden ist der Schecke unproportioniert und von deutlich schwächerer Qualität. Auch macht die Position der Landgräfin an der Spitze der Jagdgesellschaft wenig Sinn.

Entnommen: Kat. Kassel 1896 (Bose-Museum), S. 8, Nr. 22; Kat. Kassel 1899 (Bose-Museum), S. 8, Nr. 22; Luthmer 1934, S. 21, Nr. 76; Thieme/Becker, Bd. 33, 1939, S. 210; Lutze 1961; Harig 1988; AK Arolsen 1992, S. 276f.; AK Moskau 2002, S. 39, Nr. 20.